Auch wenn der Protagonist dieser Geschichte ungewöhnlich erscheinen mag, so macht das die folgende Erzählung nur noch spannender. Was wissen die hohen Damen und Herren in ihren Türmen aus Elfenbein und ihren Unterkleidern aus Samt und Seide schon über die Erlebnisse, von denen ein einfacher Schemel zu berichten weiß. Also, setzt euch hin und lauscht der folgenden Sage …

Der Ketzerschemel

Es war einmal vor langer Zeit und dauert bis zum heutigen Tag an ein Schemel. Er war schon alt und hatte viele Hintern beherbergt, der Lack war spröde und das einst weiche und glatte Leder war rissig und schmutzig. Durch die Jahre wurde der Schemel immer weitergereicht – von Generation zu Generation – und selbst wenn sich schon seit langer Zeit niemand mehr darauf setzen wollte, so konnte sich doch kein Besitzer davon trennen.

 

Eines Tages, der Schemel war momentan der Staubfänger des Priors von Weitblick, einem ehrwürdigen Mann, dessen Aufgabe es war, den Glauben in seiner Stadt zu verteidigen und zu mehren, passierte etwas Unerwartetes. Dem Prior wurde eine Frau vorgeführt, die sich der Ketzerei schuldig gemacht hatte. Sie verbreitete Lügen über die Götter und rief die Menschen im Geheimen dazu auf, den alten Riten abzuschwören. Diese Frau wurde in das Arbeitszimmer des Priors gebracht und dieser befand sie aufgrund der Beweislage für schuldig.  Als die Wachen der Frau die Fesseln wieder anlegen wollten, um sie abzuführen, versuchte diese sich zu befreien und startete einen verzweifelten Fluchtversuch. Die Wache zu ihrer Rechten konnte sie noch am Rock ergreifen und so kam die Frau ins Schlittern, stolperte über eine lose Diele und stürzte. Ihr Kopf traf genau auf den Schemel und durch den unkontrollierbaren Schwung brach sie sich das Genick.

 

Der Schemel konnte natürlich nichts dafür, doch der Prior wertete dies als ein Zeichen der Götter und erklärte den Schemel zum Sinnbild der Strafe für ketzerisches Verhalten. Von nun an mussten alle Schuldigen auf dem Ketzerschemel platz nehmen und immer öfter wurden sie dabei geköpft, da der Prior mit der Zeit immer eigenwilliger und strenger wurde.

 

Und der Schemel, der fand langsam Gefallen am Blut und an seiner neuen Aufgabe. Niemand weiß, woran es lag, doch der Ketzerschemel begann die Seelen der Opfer, die auf ihm, einem Altar gleich geopfert wurden, an sich zu binden – und es waren viele.

 

Sein Hunger wuchs von Tag zu Tag und er begann schon bald nach mehr zu verlangen. Er sprach in den Kopf des Priors hinein und beschuldigte einen jeden der Ketzerei. Tribunale in der Stadt wurden abgehalten, an denen der Ketzerschemel in einer Prozession herumgetragen wurde und Schuldige in der Menschenmenge verlangte.

 

Doch eines Tages trieb es der Schemel zu weit und beschuldigte den Prior selbst. Dieser als gläubiger Verfechter seiner Überzeugungen opferte sich selbst, und so war auch das Ende des Ketzerschemels besiegelt, denn er hatte niemanden mehr, mit dem er sprechen konnte.

 

Die Jahre vergingen und Staub legte sich wieder auf das Sitzleder und nach dem Untergang von Truul geriet der Schemel in Vergessenheit. Doch munkelt man in weit entfernten Ländern, in denen die Legende die Zeit überdauerte, dass sich der Ketzerschemel denen offenbart, die den Schlüssel zu seiner Beschwörung halten: das alte Herrscherblut Truuls.

Die hier hinterlegten Texte, Schriftstücke, Rezepte usw. sind alle bereits grafisch aufgearbeitet und stehen euch als Download zur Verfügung. Sie können frei verwendet, euren Schriftensammlungen hinzugefügt und natürlich auch geteilt werden. Wir freuen uns natürlich wenn Ihr dabei auf uns verweist. Vielen Dank!

Grafik Der Ketzerschemel
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