Taucht ein in die Erinnerungen und der Welt eines einfachen Bauern, der durch eine Verknüpfung von Zufällen zur falschen Zeit am falschen Ort war und nun fortan ein ruheloser Wanderer zwischen den Zeiten und Orten ist. In den vier Bänden wird viel Wissen über die Völker Truuls, der großen Katastrophe, Agador von Siebenheim und dem Schwanengesang am Ende aller Zeit vermittelt. Momentan ist nur der erste Band entdeckt worden.
Über die Höfe der Feen
Die Anderswelt, eine seltsame Welt, die im Zwielicht verborgen liegt und ihre eigenen Gesetze hat. Viele neigen dazu, diese mit der den Magiern vertrauten astralen Ebene zu verwechseln, oder gar der Geisterebene, doch nichts könnte falscher sein. Die Anderswelt, so wird es im Lied von Verluum besungen, entstand zur gleichen Zeit wie die erste Schöpfung, jedoch losgelöst und unbeeinflusst von dieser. An diesem mystischen Ort kann selbst der Blick der Götter nicht vordringen. Sie ist die Heimat alter, herrlicher Wesen, die so machtvoll sind, dass sich über die Jahrtausende unzählige Mythen und Legenden, Wahrheiten und Lügen um sie ranken – die Feen. Diese Geschöpfe, dem Zwielicht entsprungen, sind die prachtvollen Herrscher über unzählige Bewohner der Anderswelt. Einige davon existieren nur in der Anderswelt, andere Schlagen ihre Wurzeln in beide Welten wie zum Beispiel alte Bäume oder Dryaden.
Meine erste Begegnung mit einer Fee werde ich niemals vergessen. Es war im Morgengrauen, nach einer langen und warmen Sommernacht. Ich hatte mich in der Taverne ordentlich voll laufen lassen und wankte dem anbrechenden Tag folgend nach Hause. Am Waldrand hörte ich ein seltsames Rascheln im Unterholz. Ich schaute mich um, doch konnte ich nichts außer einer Schnecke, die mich mit einer Mischung aus Faszination und Todesangst beäugte, entdecken. Nachdem ich schon angehalten hatte, beschloss ich die Gunst der Stunde zu nutzen, um mich zu erleichtern und der Schnecke zu zeigen, wo der Hammer hängt.
„Wenn Du das tust, ist dein Leben verwirkt!“ Tönte es glockenhell in meinen Ohren. Ich schaute verdutzt auf einen schimmernden Bereich im Unterholz vor mir aus dem sich nach und nach die Konturen eines seltsamen Wesens herausschälten. Das Wesen war einen Kopf kleiner als ich und gehüllt in edlen pfirsichfarbenen Gewändern. In ihren Haaren tanzten kleine Lichter und ihre Ohren waren lang und spitz. Um ihre Taille wickelten sich zwei Flügel die wie ein Mieder anmuteten. Sie schaute mich mit diesen durchdringenden Augen an und ich hatte das Gefühl als ob sich ihr Blick tief in meine Seele hineinbohren würde.
„Colenius! Es ist an der Zeit für dich aufzuwachen und wieder klar zu sehen“, sagte das Wesen und mit einem Mal war ich wach und nüchtern. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte und so verbeugte ich mich dümmlich vor dem Wesen, das mir so unbeschreiblich überlegen zu sein schien. Eine ganze Weile verweilte ich in dieser Position und dachte über meine Möglichkeiten nach. Sollte ich fliehen? Sollte ich um Hilfe schreien? Keiner würde mich so abseits der Wege finden und zu dieser Tageszeit waren nur die Trunkenen und Hilflosen wach. „Bist du ein Trottel, Colenius?“
Stille! Während ich darüber nachdachte, was das Wesen gesagt hatte, fühlte ich mich langsam wirklich wie ein unbeschreiblicher Trottel. Um nicht noch dämlicher zu wirken, als ich ohnehin zu sein schien, antwortete ich „Nein, ich hoffe nicht – Moment mal! Woher kennst du meinen Namen?“ Die Worte kamen mir so schnell über die Lippen, dass ich gar keine Zeit hatte darüber nachzudenken. Hätte ich eine so imposante Erscheinung nicht mit mehr Höflichkeit behandeln sollen? Würde sie mir mein bauernhaftes „Du“ übel nehmen. Während ich darüber nachdachte, begriff ich einige Dinge die mir nur unterbewusst aufgefallen waren. Das Wesen vor mir war offenbar weiblich, ihre Stimme und ihr Erscheinungsbild sprachen eindeutig dafür. Sie war aber keine Elfe, solche hatte ich schon früher gesehen und dieses Wesen entsprach so gar nicht dem was mir in den Sinn kommen würde wenn ich an Elfen dachte. Ich war ordentlich verwirrt und musste mich nach wie vor dringend erleichtern, was mir das Denken nicht unbedingt erleichterte. Ich schaute auf das Wesen und wollte gerade etwas zu meiner Entschuldigung sagen als das Wesen strauchelte, die Augen schmerzverzerrt zusammenkniff und in meine Arme fiel. Bewusstlos lag sie da und ich bemerkte nur wie eine warme Flüssigkeit meinen Unterarm entlanglief und von meinen Fingerspitzen auf den Boden tropfte.
Es sollte sieben Tage dauern, bis das Wesen wieder erwachte. Ich hatte sie in meine kleine Holzhütte getragen und zunächst niemandem etwas von ihr erzählt. Sie hatte eine klaffende Wunde, wie von großen Krallen gerissen am Bauch. Zwar konnte ich die Wunde mit meinen bescheidenen Möglichkeiten und Mitteln behandelt, doch wollte sich das Fleisch nicht schließen. Am dritten Tag begann das Wesen hohes Fieber zu bekommen und ich musste mir eingestehen, dass ich mit meinem Wissen am Ende war. Deshalb beschloss ich Girna, eine alte Kräuterfrau aus der nächstgelegenen Siedlung um Hilfe zu bitten. Ich versorgte am Morgen noch die Wunde der Fremden und machte mich dann schnellen Schrittes auf den Weg. Girna zögerte, nachdem ich ihr alles erzählt hatte, keinen Moment und begleitete mich, nachdem sie allerlei Mittel einpackte, zu meiner Hütte.
Zu Hause angekommen, fanden wir das Wesen genauso vor wie zurückgelassen. Silbrig glänzende Tropfen überzogen ihre Haut und die Luft in meiner Hütte roch süßlich, übel und verrottend. Girna jedoch legte eine Reaktion an den Tag, die ich nicht erwartet hatte. Sie betrat die Hütte und ich konnte nicht übersehen, dass sich ihre Augen ungläubig beim Anblick des Wesens weiteten. Sie ging behutsam auf das Wesen zu und kniete nieder, die Stirn auf dem Boden aufliegend, sagte sie: „Ich grüße euch erhabene Herrin des Zwielichts. Als Wächterin dieses Landes werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um euch zu retten. Selbst wenn es das Ende meines eigenen Lebens bedeuten sollte.
Ich muss gestehen, dass ich die Situation mehr als befremdlich empfand. Da lag ein Wesen auf meinem Bett und eine alte Kräuterfrau, die irgendetwas davon schwafelte, eine Wächterin dieses Landes zu sein kniete vor ihr den Kopf auf dem Boden, von dem ich mir gewünscht hätte, ich hätte ihn noch einmal gefegt, bevor ich aufgebrochen war. Ich konnte nichts Wertvolles beitragen, also setzte ich mich auf den alten knarzenden Stuhl und beglotzte stumm das Treiben in meinen bisher so beschaulichen vier Wänden.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis etwas geschah. Girna saß mehrere Stunden vor dem Wesen und machte … absolut gar nichts. Als meine Augenlider langsam schwer wurden und ich bemerkte, dass die Sonne langsam unterging, stand sie auf und packte allerlei Zeug aus der schweren Truhe, die ich schleppen musste. Da waren Fläschchen, Kräuter, Kristalle und Steine. Seltsame Beutelchen und kleine Dolche aus Holz sowie Zangen, Nadeln und Fäden. Allesamt aus Holz!
Girna bat mich darum, ein Feuer im Ofen zu entfachen und Wasser in einen großen Kessel zum Kochen zu bringen. Ich tat wie mir befohlen, während sie anfing, seltsame Muster auf den Boden aufzumalen. Sie benutzte dazu das weiße Pulver eines seltsamen, weichen Steines, welchen sie zuvor gemahlen hatte. Das Wasser kochte und ich fragte, was ich tun sollte „Bring mir ein paar Laken, zerschneide sie und leg sie in das kochende Wasser“, ich glotzte dümmlich und sagte, „ich habe nur das Laken auf dem Bett!“ Girna erwiderte meinen Blick mit einer Mischung aus Belustigung und Ungläubigkeit. „Du lebst wohl alleine hier oder? Ich nahm an du bist verheiratet. Bist reichlich alt für einen Junggesellen“ ich konnte darauf nichts erwidern und bemühte mich lediglich meine Kinnlade wieder zu schließen. „Zieh dein Hemd aus und zerreiße es in ein paar große Fetzen“ ich wollte protestieren aber die verrückte Alte keifte mich sofort an „Tu wie dir geheißen wurde Mann und verschwende nicht meine Zeit mit dummen Fragen“. Widerwillig zog ich mein Hemd aus und fing an es zu zerreißen. Die Fetzen schmiss ich wie mir befohlen, ja, das musste man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, es wurde mir in meinem Haus, unter meinem Dach befohlen, in das sprudelnd kochende Wasser des schwarzen Kessels.
Schritte in der Dunkelheit waren zu hören und ein kaum sichtbarer Schatten kündigte die Ankunft von etwas an. Mein Kopf war nahe dem Bersten, ich hatte das Gefühl, dass meine Anwesenheit an diesem Ort nicht richtig war und meine ganze Existenz damit kämpfte, das erlebte zu verkraften und zu begreifen, ohne augenblicklich zu verzweifeln und sich dadurch selbst auszulöschen. Der Schatten bleib stehen und schrumpfte allmählich in sich zusammen und hinter der Säule, die mir an nächsten war, erschien ein kleiner Junge. Seine durchdringenden Augen eines Blau, eines Golden waren das erste, was mir auffiel. Der Junge, kaum acht Sommer alt, beäugte mich mit einer Mischung aus Erstaunen und Skepsis und lächelte verrückt und schief.
„Das ist unerwartet“ seine Stimme, kindlich und hell, schmerzte mir in den Ohren wie ein Klingensturm und ich fürchtete, der Druck in meinem Kopf würde mir die Augen aus ihren Höhlen drücken. „Du nennst dich selbst Colenius, aber das ist nicht dein wahrer Name“, diese Stimme, die grausame Wahrheit, die sie aussprach, war überwältigend und furchterregend zugleich. Ich fühlte mich nackt aller Sicherheit beraubt und verletzlich wie nie zuvor in meinem Leben. Bilder zogen vor meinen Augen dahin, ich sah das Meer und das Boot, welches mich meiner Kindheit beraubt hatte, meinen Vater, der am Galgen hing und meine Mutter, die mit einem gezückten Messer auf mich losgegangen war, den irren Blick in ihren Augen, den Wald und die Schlucht, ich stürzte, erwachte und fand mich bei einer alten Frau wieder, die mich sanft anlächelte, ihren letzten Atemzug viele Jahre später und das letzte Wort, welches ihr über die Lippen kam – Colenius.
Ich hatte lange geschlafen, zumindest fühlte ich mich so. Die Schmerzen waren gänzlich verschwunden, als ob ich sie in einer weit zurückliegenden Zeit hinter mir gelassen hatte. Unter einer mächtigen Eiche sitzend erzählte ich mit Arani. Sie war verändert, zumindest nahm ich sie jetzt so wahr. Mein Blick, die Art, wie ich die Dinge betrachtete, betrachten konnte, hatte sich gewandelt. Ich konnte den Flügelschlag eines Vogels in der Geschwindigkeit einer Schnecke wahrnehmen, wenn ich mich konzentrierte oder einen Apfel wachsen und am Baum vor sich hinfaulen sehen. Arani erklärte mir sehr vieles in diesen ersten Tagen meines neuen Daseins. Lavok, der Gott der Träume und der Zeit, hatte mich gesegnet. Eine nette Umschreibung. Ich sagte immer verflucht, doch Arani bestand darauf, dieses Wort nicht zu benutzen. Die Zeit konnte mich nicht länger belangen. Mein „Ich“, meine Existenz mit allem was dazugehörte, war jenseits der starren Grenzen und Fesseln der Zeit. Der Malstrom konnte mich nicht erfassen. Damit einhergehend behauptete Arani, dass ich Fähigkeiten erkennen würde, die den Staubgeborenen, ein Begriff der Anderswelt für alle, die der Zeit untertan sind, verborgen bleiben. Mein Blick auf alles was ist, war nicht länger an einen Moment gebunden, sondern blickte gleichzeitig auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
An einem lauen Sommertag erzählte mir Arani von den großen Höfen der Feen. Es hatte ursprünglich vier gegeben. Den Hof des Frühlings, den des Sommers, den Herbst- und Winterhof. Die Höfe einten unter ihren Wappen beinahe alle Wesen der Anderswelt seit der ersten Schöpfung, aus der diese hervorgegangen waren. Regiert von vier Königinnen, die an Macht kaum zu überbieten waren, bildeten die Höfe eine Ordnung, die unzählige Zeitalter bestand haben sollte. Doch dann kam die zweite Schöpfung und alles veränderte sich. Die großen Kinder H’ekatees erschufen sich eigene Völker und statteten diese mit einer Macht aus, die der Feen gleichwertig war. Das war nicht das Problem, wie Arani beteuerte, es ging nur zu schnell. Die Macht konnte nicht reifen und das Verständnis um alles, was „war“ konnte nicht langsam erblühen, um Weisheit hervorzubringen. Es dauerte nicht lange und die Völker der Götterkinder lagen im Krieg miteinander. Einen Krieg, der über die Grenzen der Anderswelt hinaus getragen wurde. So traten in dieser düsteren Epoche die vier Königinnen der Höfe zu einem Konzil zusammen und beschlossen das Gesetz von Verluum. Es sollte eine Möglichkeit für Völker und Wesen darstellen, ein Existenzrecht zu bewahren, wenn ihnen durch einen überlegenen Gegner die Auslösung drohte. Das Volk, welches dieses Recht einforderte, musste sich in zahlreichen Prüfungen auf den verschiedensten Gebieten beweisen.
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