Unter dem Titel, „Die Kinder Truuls“ befindet sich eine Sammlung aus drei Geschichten die einen Blick auf die Vergangenheit Nezzrads werfen. Von den Kindertagen seines Vaters an, über das Leben und Wirken seiner Mutter Rina bis hin zu der Entdeckung seines bedeutenden Erbes, enthält diese Geschichte wichtiges Wissen über die Vergangenheit Truuls und der Verkettung von Umständen, die zur großen Katastrophe führte. Über dies kann auch viel über Agador von Siebenheim erfahren werden. Weiter unten habt ihr die Möglichkeit euch die einzelnen Geschichten als IT aufgearbeitetes Download zu sichern.
Kapitel I - Der Junge namens Anir
Nehmt euch etwas Zeit und seid bereit, meine Botschaft aufzunehmen, denn ich erzähle euch die Geschichte eines Jungen namens Anir. Obwohl sie sich bereits vor langer Zeit zugetragen hat, wirkt sie sich noch bis in die Gegenwart aus und bestimmt womöglich sogar die zukünftigen Ereignisse. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der hinauszog, um die Fremde zu erkunden und dabei seine Heimat vergaß.
Anir war der jüngste Spross einer verarmten, ehemals angesehenen und geachteten Familie in Weitblick, der schillerndsten und größten Stadt auf Truul. Gemeinsam mit seinen fünf Geschwistern, zwei Schwestern und drei Brüdern liebte es Anir, wie es alle Kinder lieben, die Gegend um sein Elternhaus zu erkunden und sich dabei wilde Verfolgungsjagden mit seinen Geschwistern und den Nachbarskindern zu liefern. Selbstredend war Anir dabei immer unterlegen. Seit seiner Geburt litt er an einer seltenen Krankheit, die ihn fortwährend schwächte, doch immer gesund genug hielt, um nicht in den ewigen Schlaf hinüberzugleiten. Die Heiler konnten keine Lösung für dieses Problem finden und Anir hörte eines Nachts seinen Vater zu seiner Mutter sagen: „Wenn die Götter es so vorgesehen haben, dann werden sie schon einen Grund haben.“ Anir hatte es damals nicht verstanden. Warum sollte jemand bestimmen, dass er nicht wie die anderen Kinder springen und rennen konnte, auf die höchsten Äste der Bäume klettern und so tief tauchen, bis er den schlammigen Untergrund der Seen zwischen seinen Fingern spürte? Es kam ihm ungerecht vor!
Im Alter von 16 Sommern war Amir zu einem schmächtigen jungen Mann herangewachsen. Seine Schwestern hatten geheiratet und nur er und sein Vater wohnten noch im einst so malerischen Elternhaus seiner vergangenen Erinnerung. Seine Brüder waren gefallen. Im Alter von 18 Sommern hatte die Garde des „Großen Sehers“ sie eingezogen, um im Krieg zu dienen. Sie waren nie nach Hause zurückgekehrt und seine Mutter hatte kurze Zeit darauf verzweifelt und von tiefer Trauer gekennzeichnet für immer die Augen geschlossen, um sich der ewigen Umarmung Orophers hinzugeben. Es war ein Jahr her, dass er seine Schwestern zum letzten Mal gesehen hatte.
Sein Vater hatte ihm gesagt, dass sie beide die Insel mit ihren Kindern verlassen hatten, um dem überall drohendem Unheil zu entgehen. Vieles hatte sich so abrupt verändert in den letzten Jahren, seitdem das erste brennende Tor erschienen war. Man munkelte, dass der „Große Seher“ selbst diese fremden Wesen mit offenen Armen auf Truul willkommen geheißen hatte. Gehörnte Geschöpfe mit Blicken wie glühendes Eisen und machtvollen Pranken. Als die Tore erst mal geöffnet waren, scheiterten alle Versuche, sie wieder zu verschließen. Dem fortschreitenden Wahn verfallen, so hatte es Anirs Vater in eine der besseren Nächte erzählt, habe man alle Versuche der Nachbarinsel ausgeschlagen und auch noch einen Krieg mit ihnen begonnen.
Die besseren Nächte, jene, in denen Anirs Vater nicht benebelt und mürrisch vor sich hin brabbelnd vor dem Kamin saß, wurden immer seltener. Anir erinnerte sich an eine Nacht, in der sein Vater die Kontrolle verloren hatte und ihm mit dem Schürhaken glühende Kohle ins Gesicht warf. In dieser Nacht hatte Anir einen Traum, der so greifbar und real erschien, dass er sich für immer an jede Einzelheit erinnern würde. Er befand sich in einer gigantischen Halle mit schwarzen Säulen, die so hoch waren, dass sie in der durch undurchdringliche Schwärze getauchten Decke zu verschwinden schienen. Ein klammes, gülden pulsierendes Licht erfüllte karge Bereiche dieses Ortes und auf einmal sah er einen kleinen Jungen hinter einer Säule hervortreten. Seine Augen, dass erkannte Anir sofort, waren von unterschiedlicher Farbe, eines war blau, das andere goldfarben und der fremde Junge gluckste in freudiger Erwartung, während er mit schelmischer Stimme sprach.
„Ich grüße Dich, Anir! Du musst etwas für mich tun und ich werde im Gegenzug etwas für Dich tun.“ Anir nickte unsicher und sagte nichts. Der kleine Junge zuckte mit den Schultern und fuhr fort. „In vielen Jahren werde ich Dir erneut im Traum erscheinen – und obwohl sehr viel Zeit vergehen wird, wirst Du tun, worauf Du Dich eingelassen hast. Du sollst dann an einen Ort gehen, an dem einst ein Kind des Barador weilte und nun vergangen ist. Du wirst an den Wurzeln des großen Baumes graben und einen Kristall bergen der für mich von großem Wert ist. Diesen bringst Du in die nahe gelegene Kolonie und versteckst ihn im oberen Bachlauf. Sobald Du das getan hast, werden Dinge geschehen, die nur noch schwerlich aufzuhalten sind. Doch sorge Dich nicht. Dir wird dadurch kein Leid entstehen.“
Anir wollte widersprechen, doch das Kind gab ihm keine Zeit dazu. Als Belohnung für Deine Mühen werde ich Dir jemanden schicken, um Dich in ein Leben zu führen, dass lang und voller Herausforderungen sein wird. Vertrau mir – es soll nicht zu Deinem Nachteil sein!“
Als Anir erwachte, war es früher Morgen. Er hörte seinen Vater im unteren Bereich des Hauses mit jemandem sprechen. Vorsichtig schlich er sich aus seinem Zimmer und lugte durch das alte Treppengeländer. Vater unterhielt sich mit einem hochgewachsenen Mann mittleren Alters. Der Mann schüttelte den Kopf und betrachtete den Raum „Ihr müsst doch auch einsehen, dass der Junge hier keine Zukunft hat. Diese Insel ist dem Untergang geweiht – das wisst ihr genauso gut wie ich. Die Götter haben es so vorgesehen, dass ich euren Sohn mit mir nehmen soll, und dafür haben sie einen Grund!“ Die Worte pulsierten in Anirs Ohren und riefen weit entfernte Erinnerung hervor – Erinnerungen aus besseren Tagen.“ Der Blick des Fremden blieb auf Anir ruhen und ein gütiger Gesichtsausdruck breitete sich über die Züge des Mannes aus. „Was sagst Du dazu Anir? Möchtest Du etwas von dieser Welt sehen und mich begleiten? Anir rührte sich nicht.
Einen ewigen Moment lang war Stille das Einzige im Raum. Dann sagte Anir zögerlich – Ja“.
Vater war traurig, doch er hielt Anir nicht zurück. Er gab ihm eine Kiste auf deren Deckel das Wappen des einst so stolzen Geschlechts abgebildet war und drückte ihn an seiner Brust und sagte: „Sei stolz mein Sohn und vergiss nie, woher Du stammst. Dieses Land ist Dein Land, Deine Heimat und so wird es für immer bleiben.“
Wenn Anir gewusst hätte, dass er an diesem Tag seinen Vater zum letzten Mal sehen würde, hätte er ihm etwas gesagt, wäre vielleicht nicht weggegangen; doch nur wenigen ist die Sicht in die Zukunft gestattet und Anir sollte nie dazu gehören. Im Weggehen hörte Anir den fremden Mann, den Kopf in eine leere Ecke des Raumes gerichtet, vor sich hin brabbeln: “Komm Colenius, wir müssen diese Insel nun schnellstmöglich verlassen.“
Kapitel II - Das Mädchen namens Rina
Erinnert ihr euch noch an den jungen Anir und die Geschehnisse, die dazu führten, dass er sein Elternhaus verließ, um in der Ferne sein Lebensglück zu finden? Nun ist die Zeit gekommen, diese Geschichte weiter zu erzählen:
Viele Jahre vergingen und Anir folgte dem einst fremden Mann, der eines Tages in seinem Elternhaus aufgetaucht war und ihn von dort mitgenommen hatte. Agador von Siebenheim nannten sie ihn und er war das, was man einen Runenmeister nannte. Es war ihm gegeben, durch seine persönliche Wissenschaft die verschiedenen Essenzen seiner Umgebung in ein Objekt zu kombinieren und mit einem „Wort der Macht“ plötzlich wieder freizugeben – was zu erstaunlichen Resultaten führte. Agador vollbrachte, was keinem Heiler zuvor gegeben war. Er heilte Anirs Leiden und befreite ihn somit von dem Fluch der Schwäche, den die lebenslange Krankheit bislang über ihn gelegt hatte. Trotz Anirs Bemühungen, die Kunst des Runenmeisters zu erlernen, hatte er einfach kein Händchen dafür. Da Anir aber auch seinen Beitrag zum gemeinsamen Werk leisten wollte, übte er unablässig mit dem Schwert und schon bald waren erste Fortschritte zu sehen. Sein einst schwächlicher Körper verwandelte sich allmählich und deutliche Konturen, definierte Muskeln und eine ernst zu nehmende Ausdauer folgten alsbald. Agador war wie immer viel unterwegs, doch Anir begann mehr und mehr die Sehnsucht nach einem Lebensmittelpunkt zu verspüren. Er begleitete seinen Meister immer seltener und eines Tages, Agador war schon einige Wochen lang weg und Anir verweilte noch in Siebenheim, lernte er Elena auf dem Marktplatz kennen. Sie war wundervoll und bevor er sich versah, raubte sie ihm sein Herz und er tat das Gleiche mit dem ihren. Es war die Art einer hitzigen und hell lodernden Liebe, die leider viel zu schnell verglüht. Doch neun Monde später, nachdem die Wege von Anir und Elena auseinandergegangen waren, wurde ein junges Mädchen geboren und Elena, ihre Mutter, gab ihr den Namen – Rina.
Anir wusste zwar von Rinas Existenz, doch hatte er sie noch nie getroffen. Immer wieder nahm er sich vor, sich seinen Ängsten zu stellen und Verantwortung für seine Tochter zu übernehmen, doch er konnte diesen inneren Kampf scheinbar nicht gewinnen. Zwar war er vom Runenmeister von seinen körperlichen Gebrächen geheilt worden und zu einem stattlichen Mann mit außergewöhnlichen Fähigkeiten im Schwertkampf herangewachsen, doch im inneren schlummerte noch immer der kleine verunsicherte Junge von einst. Seine Reisen mit Agador wurden immer länger und eines Tages, nachdem die beiden die Insel Truul – viele Jahre nach Anirs Weggang – wieder besuchten, kehrte dieser nicht wieder zurück. Niemand weiß, was mit Anir passiert war, weil sich niemand mehr zu erinnern vermag, einzig das für seinen leiblichen Vater so wertvolle Erbe der Familie sollte lange Zeit später wiederentdeckt werden.
Die Jahre zogen ins Land und aus dem Mädchen Rina wuchs eine sehr talentierte junge Frau heran, die eine ungewöhnliche ausgeprägte Begabung für Magie aufwies. Ihre Mutter Elena, die dieses Talent natürlich voller Stolz bemerkt hatte, gab sie im Alter von elf Jahren in die Obhut der Magierkaste der Insel. Rina überzeugte die hohen Magier der Hauptstadt und wurde an der Akademie der arkanen Künste zu Kerodesh angenommen, wo sie die bestmögliche Ausbildung erhielt, die sie auf Myrrth bekommen konnte. Als Rina zwanzig Sommer zählte, hatte sie bereits all ihre Mitschüler an Wissen und Können überflügelt und ihr Hunger nach „Neuem“ war noch immer unersättlich. Die obersten Magier der Kaste hegten aber zunehmend Zweifel. Der wilde, ungezügelte Eifer und ihr impulsives Wesen bargen Gefahren, die es zu kontrollieren galt.
Zunächst redeten sie stetig auf Rina ein, versuchten sie davon zu überzeugen, dass ihre Fähigkeiten und ihr Geist erst reifen müssten, bevor sie die nächsten Schritte lernen und die nächsten Geheimnisse ergründen könne. Doch Rinas unstillbare Gier nach neuem Wissen war mit diesen plumpen Floskeln der alten Frauen und Männer, die in ihrem Mause-Rad gefangen zu sein schienen nicht befriedigt und so suchte sie immer häufiger nach anderen Informationsquellen. Es gab ein berüchtigtes Gasthaus in Kerodesh, der strahlenden Hauptstadt des Inselreiches, in dem Reisende aus allen Herren Länder Halt machten. Dort hoffte Rina jemanden zu treffen, der ihr weiterhelfen konnte. Als sie an einem späten Abend verunsichert das Gasthaus betrat, ahnte sie nicht, welchen Weg ihr Schicksal damit nehmen würde. In einer Ecke des Schankraumes machte sie die Bekanntschaft einer jungen Frau, die ebenfalls in Rinas Alter zu sein schien. Die beiden waren sich sehr sympathisch und verstanden sich auf Anhieb blendend. Die Frau namens Jorall erzählte Rina von einem ihrer Freunde, ein machtvoller Magier, ein Meister seines Faches und ein Virtuose jener geheimen Künste, die sich die Akademie der arkanen Künste zu Kerodesh nie zu lehren trauen würde.
Die Worte fielen auf fruchtbarem Boden und bereits zwei Wochen später reiste Rina in Begleitung von Jorall in die Sümpfe der Sieben, einem von Schrecken erfüllten Ort im Norden der Hauptinsel. Dort angekommen erwartete der geheimnisvolle Meister die beiden bereits. Er stellte sich Rina als „Morgerius“ vor. Er war charmant und wortgewandt und es umgab ihn jene Aura des Unbekannten und Exotischen, die faszinierend und anziehend zugleich war. Der Machtbeweis, den er Rina lieferte, war unvergleichlich, geradezu atemberaubend. Morgerius ließ einen ganzen Landstrich in Flammen aufgehen, nur um ihn dann Sekunden später in schwarzen Kristall zu verwandeln. Rina entschloss sich dazu, bei Morgerius zu bleiben und wurde seine Schülerin. Er erkannte die Macht in ihr, verstärkte und ergänzte diese auf seine eigene dunkle Art und Weise. Seine Worte vergifteten nach und nach ihren Geist, bis der Samen des Wahnsinns gepflanzt war, bereit zu keimen und zu wachsen.
Mit den Jahren wurde Rina zu einer der stärksten Waffen die Morgerius, der in späteren Tagen Morgon genannt werden sollte, jemals erschaffen und formen sollte. Er brachte ihr die verbotene Kunst der Blutmagie bei und bald schon überflügelte Rina selbst ihren Meister in dieser dunklen Disziplin. Viele Jahre, Dekaden zogen ins Land und Morgon, begleitet von seinen zwei Schwertern Rina und Jorall hinterließen Schneisen der Zerstörung auf Myrrth und seinen Nachbarinseln. Morgon hatte Rinas Seele mit einem seltenen mystischen Wesen verbunden, wodurch ihr die Unsterblichkeit zu Teil wurde, die sie sich immer ersehnt hatte. Jorall hingegen ließ er von Rina in einem Ritual opfern, um sie dann wieder auferstehen zu lassen, halb tot – halb lebendig und deutlich mächtiger als zuvor.
Eines Tages standen Rina und Jorall vor Siebenheim, um die Stadt zu belagern. So mächtig diese beiden auch waren, konnten sie es dennoch nicht mit Agador dem Runenmeister aufnehmen. Sie und ihr dunkler Meister Morgon hatten Getuschel gehört, dass Agador kurz vor der Entdeckung einer ultimativen Rune, der sogenannten Meisterrune stand, welche die Macht der Schöpfung selbst zu entfesseln vermochte. Ihr Wunsch, dieses Wissen in ihren Besitz zu bringen, sollte sich jedoch nie erfüllen. Agador bezwang Jorall, die ihn zum Zweikampf gefordert hatte und ließ nur Staub von ihr übrig. Rina hingegen, vom Verlust ihrer Schwester im Geiste dem Wahn verfallen, musste sich zum ersten Mal in ihrem Leben mit schwersten Verletzungen und der Demütigung der Unterlegenen zurückziehen. Kurz bevor sie in der Dunkelheit verschwand, schleuderte sie einen gigantischen schwarzen Feuerball auf Siebenheim. Agador konnte das Schlimmste zwar verhindern, indem er das magische Gebilde unter Zuhilfenahme seiner Runen in viele kleine Feuerbälle aufteilte und die meisten von Siebenheim ablenkte, doch drei von ihnen schlugen mit verheerender Wirkung ein. Die Gebäude, die getroffen und größtenteils zerstört wurden, waren das Rathaus, die Elevenhalle und Agadors Haus, in dem sich zu diesem Zeitpunkt seine Frau aufhielt.
Sie war sofort tot. Selbst die unerreichte Kunst des großen Agador von Siebenheim konnte sie nicht zurückholen. Er konservierte ihren Körper und versiegelte ihn in einem undurchdringlichen Kristall, bevor er Siebenheim verließ, um Rina zu jagen und Rache an ihr zu nehmen.
Wie lange die Jagd genau dauerte, weiß niemand. Es waren Jahre der Entbehrung für Agador von Siebenheim. Der Krieg zwischen Truul und Myrrth war entfesselt und reihte sich nahtlos in die vielen kämpferischen und blutigen Handlungen dieser Zeit. Myrrth war zwar im Stande, die Bestie und ihre Diener im Osten in ihre Schranken zu weisen, doch klaffte nun im Westen eine offene Flanke, die durch die Bedrohung der dortigen Dämonen, der man nicht einmal durch die zahlreichen Streitkräfte der Elben Herr werden konnte, zu einer immanenten Gefahr heranzuwachsen drohte. Nur selten sah man Agador in dieser Zeit auf Myrrth. Wenn er irgendwo auftauchte, dann nur, um seinen Proviant aufzufüllen oder schnelle Hilfe und Beistand zu leisten. Selbst am Konklave der Altehrwürdigen nahm er nicht teil und sein Rat wurde zu dieser Zeit schmerzlich von seinen Verbündeten vermisst. Es war eine dunkle Zeit mit Opfern auf beiden Seiten. Es war auch die Zeit, in der der Golwon des Krieges, Golwon Yliad beim Versuch, seinen geraubten Sohn zu retten, fiel und ein junger, bislang nicht sonderlich bekannter Hauptmann der Kriegerkaste zum neuen Golwon des Krieges ernannt wurde. Ein Halbelf namens Methadron.
Schließlich, Jahre später war Agadors Jagd erfolgreich. Er entdeckte den durch komplexe Zauber und Flüche geschützen Unterschlupf Rinas auf der Insel Truul unweit eines Ortes namens Tieftann. Rinas Macht war groß genug geworden, einen ansehnlichen Bereich vor den weißen Steinen abzuschirmen und die Menschen, die einst geflohen waren, hatten sich dort wieder niedergelassen. Ein stolzes und gastfreundliches Volk, weise und klug waren sie in der Einfachheit ihres Alltags, doch etwas stimmte nicht mit ihnen. Agador sollte dieses Mysterium niemals ergründen, denn für ihn in seiner blinden Rage zählte nur eines: Rinas Tod!
Wie es Agador letztendlich gelang, in Rinas Festung einzudringen und der Kampf, der daraufhin entbrannte, ist aber eine andere Geschichte, die für diese hier nicht von Bedeutung ist. Lediglich der Ausgang ist wichtig.
Rina lag niedergestreckt auf dem Boden der großen Halle ihrer unterirdischen Festung und ihr Kopf kullerte noch langsam in eine Ecke des Raumes, als Agador selbst schwer verletzt, erschöpft und dem Ende nahe auf die Knie sank, vor Schmerz und Erleichterung weinend nach einer seiner Heilrunen suchend.
Da hörte Agador etwas, ein leises Wimmern, ein gedämpftes, gepresstes Schreien. Er suchte in den angrenzenden Räumen und fand einen Säugling, einen kleinen Jungen. Es gab keinen Zweifel, dass es Rinas Kind war. Agador brachte es nicht übers Herz, dem Kind ein Leid anzutun und die Schwere seiner eigenen Schuld ließ ihn das Kind mitnehmen und nach Siebenheim zurückzukehren, dem Kampf und dem Schmerz abschwörend, ein neues Leben beginnend.
Kapitel III - Das Kind namens Nezzrad
Ihr habt vom jungen Anir erfahren und wie er sein Elternhaus verließ, um in die Ferne zu ziehen. Ebenso von Rina und die Umstände, die zu ihrem Tod geführt haben. Nun ist die Zeit gekommen, diese Geschichte zu einem Ende zu bringen.
Zehn Jahre vergingen und Agador blieb mit seinem Ziehsohn in Siebenheim. Er hatte die Reisen satt und die Last seiner Taten sowie die vielen Jahre seines Lebens waren viel mehr als ein sterblicher jemals leben sollte und lasteten schwer auf seinen Schultern. Er gab dem Kind, Rinas Sohn den Namen Nezzrad. Der Wind hatte ihm diesen Namen zugeflüstert, als er eines Tages mit dem Säugling am Bach seines wieder aufgebauten Hauses saß. Nezzrad war in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnlicher Junge. Schon in frühen Jahren ließ er ein großes Talent in der Runenschmiedekunst erkennen. Komplexe Zusammenhänge begriff er sofort und so war er bereits mit zehn Jahren in der Lage, alle Lehrlings und Adeptenrunen herzustellen, sogar ohne Agadors Hilfe.
Einen Monat bevor Nezzrad seinen elften Geburtstag feierte, brachte Agador zwei weitere Knaben mit nach Hause. Der jüngste war Calfas, er zählte sieben Sommer und war ein aufgeweckter, wenngleich sehr schüchterner und zierlicher Junge. Der Ältere war Letis, er hatte bereits zwölf Sonnenläufe erlebt und Nezzrad konnte ihn vom ersten Moment an nicht ausstehen. Sowohl die Eltern von Calfas, als auch die von Letis waren bei einem Angriff der Bestie ums Leben gekommen und Agador hatte nach anfänglichem Zögern zugesagt, sich um sie zu kümmern und in die Kunst der Runenherstellung einzuweihen. Nezzrad begriff nicht, warum er für Agador nicht mehr ausreichend war. Hatte er nicht immer sein Bestes gegeben und war er nicht stets bemüht gewesen, alle Anforderungen seines Vaters zu erfüllen? Agador sagte ihm einst in einem Gespräch er habe die beiden aufgenommen, damit er Wegbegleiter und Freunde um sich habe, andere, mit denen er sich messen und an denen er wachsen könne. Doch Nezzrad glaubte das nicht und Unzufriedenheit begann seinen jungen Geist zu umnebeln.
Jahre vergingen und die drei Schüler des Runenmeisters vollbrachten Außergewöhnliches! Während Letis zwar nicht der geschickteste in der Runenherstellung war, verstand er es jedoch auf eine ganz eigene virtuose Art und Weise die Runen untereinander mit größtmöglicher Wirkung zu kombinieren. Calfas war stur und ehrgeizig genug, um nicht hinter seinen Stiefgeschwistern zurückzufallen. Er hatte ein Talent dafür, im Verborgenen zu wirken. Er stellte sich meist mit denen gut, die ihm für sein Ziel dienlich erschienen. Seine Loyalität und Liebe zu seinem Stiefvater war jedoch stets ungebrochen. Nezzrad verschloss sich immer mehr hinter Studien und Experimente, seine Stiefbrüder meidend. Selbst Agador schien neuen Lebensmut gefunden zu haben und begann wieder ab und zu auf Reisen zu gehen. Eines Nachts, Agador war gerade von einer zweiwöchigen Reise zurückgekehrt, rief er Nezzrad zu sich. „Mein Sohn, sagte er, „Ich habe einen Durchbruch erzielt. Ich bin davon überzeugt, einen Weg gefunden zu haben, um die ultimative Rune herzustellen.
Er blickte Nezzrad tief in die Augen und ein sanfter Ausdruck voll Güte und Liebe erfüllte seine Züge. „Du, der Du den größten Platz in meinem Herzen einnimmst, Dir Nezzrad will ich es verraten, wie es zu bewerkstelligen ist. Denke bei allem, was ich Dir sage an Folgendes: Zeit ist niemals linear, sondern eine Variable im Auge des Betrachters!“ Agador verriet Nezzrad das Geheimnis und berichtete, dass er bereits alle benötigten Komponenten und Substanzen zusammengetragen hatte. Er enthüllte ihm, dass er ein verborgenes Laboratorium auf Truul errichtet hatte, abgelegen und einsam sowie einen Platz zum Experimentieren in einer kleinen Stadt namens Tieftann“. Nezzrad stutzte bei Agadors Geschichte. Truul war doch ein unbewohnbarer Landstrich, unwirklich und feindselig, ohne jeden Reiz. Agador brach noch in derselben Nacht auf, um seine Forschungen weiter zu verfolgen.
Viele Tage vergingen, Agador war noch immer auf Reisen und Nezzrad, der einen furchtbaren Streit mit Letis gehabt hatte, war gerade dabei, den Speicher des Hauses aufzuräumen, als ihm eine Kiste in einer Ecke des Raumes ins Auge fiel. Sie war von einer dicken Staubschicht überzogen und auf dem Deckel prangte ein Wappen, welches den nur noch schwer zu erahnenden Kopf eines Tigers abbildete. Als Nezzrad die Kiste berührte, ritzte er sich an einer scharfen Kante den Zeigefinger auf. Ein Tropfen Blut fiel auf den Deckel der Kiste und sogleich klickte der Schließmechanismus und der Deckel schwang wie von Geisterhand geführt von selbst auf. Im Inneren fand er ein altes Stück Pergament, einen Tigerkopfring und eine goldene Statue, die einen majestätischen Tiger darstellte.
Das Pergament war rissig, spröde und kaum leserlich. Es stand etwas darauf von einer Abstammung alten Blutes, der versiegelte Beleg eines alten truulanischen Adelsgeschlechtes mit Abstammungsbaum und Besitz. Nezzrad nahm den Ring und betrachtete ihn, während er diesen zwischen seinen Fingern hin und her drehte. Ein Knarzen im alten Gebälk, einer jener Momente, in denen das Schicksal fast spürbar ist, dann Stille. Den Atem anhaltend streifte er sich den Ring über den Mittelfinger der rechten Hand. Eine Welle immenser Macht durchströmte ihn und aus den diffusen Schatten des Speichers schälten sich die schemenhaften Umrisse einer Frau.
„Ich bin Rina und wenn Du mich sehen kannst, so bist Du mein Sohn und der einzige Erbe unseres stolzen Geschlechts.“ Die Stimme der Frau klang unnatürlich. Ihr Blick war starr geradeaus gerichtet und alles deutete darauf hin, dass es sich um eine magische Aufzeichnung handelte die vor langer Zeit erschaffen wurde. „Der Tod steht vor unseren Toren mein Sohn, denn Agador von Siebenheim ist gekommen, um Rache an mir für den Tod seiner Frau zu nehmen. Ich bin geschwächt und nicht im Vollbesitz meiner Macht, weshalb ich nicht weiß, ob ich diesen Kampf als Siegerin überstehen und somit überleben werde. Was auch immer geschieht, denk daran, Du bist mein Sohn, mein Fleisch und Blut und Du musst Deinen Platz einnehmen als einzig verbliebener Herrscher von Truul. Dein Blut ist das Blut das auch in den Venen des großen Sehers floss. Die myrrthianischen Usurpatoren haben die Insel beinahe unbewohnbar gemacht. Sie haben unzählige Unschuldige als Bauernopfer in Kauf genommen, um ihren Willen durchzusetzen. Sie akzeptieren nichts, was sich ihrer Lebensweise entgegenstellt und verschleiern ihre niederen Absichten durch künstliche Moral und falsche Kultiviertheit. Es gelang mir trotzdem, den Bereich um Tieftann von ihren sogenannten weißen Steinen zu befreien und somit wieder bewohnbar zu machen. Meine Festung liegt unter dem Berg, Dein Blut wird Dir Zugang gewähren. Begib Dich dorthin. Meine Bibliothek soll die Deine sein. Deine Bestimmung erwartet Dich.“
Es vergingen Wochen. Eine lange Zeit, wenn man alleine mit seinen immer düster werdenden Gedanken ist. Calfas und Letis waren in die benachbarte Stadt Gabelbach gereist, um dort Letis neuester Flamme den Hof zu machen. Nezzrad, hatte die Schriftstücke seines Adoptivvaters durchsucht, Dokumente gesichtet und Tagebücher gelesen. In manchen der Tagebücher waren viele leere Seiten, wo eigentlich etwas geschrieben stehen sollte. Bei seiner Suche stieß er auch auf die Beschreibung einer Rune, die das eigene Leben verlängern konnte, jedoch zu einem grausamen Preis. Nezzrad packte alles zusammen, was ihm lieb und teuer oder für seine Zwecke geeignet und wertvoll erschien und wartete auf die Rückkehr seines Meisters.
Als Nezzrad seinen vermeidlichen Vater Agador nach dessen Ankunft mit seinen neu gewonnenen Erkenntnissen konfrontierte, leugnete dieser nicht seine Taten – er entschuldigte sich auch nicht dafür, sondern sagte nur: Er habe das getan, was nötig gewesen war. Seine Selbstkontrolle in dieser Situation war für Nezzrad unerträglich. Der Mann, dem er vertraut hatte, dem er nacheiferte, den er wie einen Vater liebte, war in dem Moment, da Nezzrad seinen Vater am meisten gebraucht hätte, nur kühl und reserviert, ohne ein einziges Zeichen der Reue. Nezzrad schleuderte Agador von Hass und Wut getränkte Worte entgegen und verließ noch in derselben Nacht das Haus, in welchem er seine Jugend verbracht hatte. Er hätte sich gewünscht das Agador ihn zurückgehalten hätte. Ein einziges Wort, eine simple Entschuldigung. Das Einzige, was Agador sagte, war: Du musst tun, was Du tun musst, mein Sohn.
Jahre vergingen und Taten wurden begangen, die notwendig und unvermeidbar waren. Als Nezzrad auf einem kleinen Schiff die sattgrünen Bäume an der südlichen Küste Truuls erblickte, hatte er zum ersten Mal das Gefühl, zu Hause zu sein. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Willkommen auf Truul!
Die hier hinterlegten Texte, Schriftstücke, Rezepte usw. sind alle bereits grafisch aufgearbeitet und stehen euch als Download zur Verfügung. Sie können frei verwendet, euren Schriftensammlungen hinzugefügt und natürlich auch geteilt werden. Wir freuen uns natürlich wenn Ihr dabei auf uns verweist. Vielen Dank!